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„Niemand spricht mit mir!“ – Szenisches Verstehen in einem Fall von Mobbing in einer Schulklasse

Dorothea Steinlechner-Oberläuter

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Vorliegende Fallstudie handelt von einem Fall von Mobbing an einer BHS (Berufsbildenden Höheren Schule), wo ich als zuständige Schulpsychologin von der Klassenvorständin um Unterstützung gebeten wurde.

Um die Falldarstellung möglichst flüssig und gut lesbar zu gestalten, werde ich einige für das Verständnis notwendige Informationen und theoretische Vorbemerkungen an den Anfang meiner Ausführungen stellen.

Mobbing – zwischen Modediagnose und realem Psychoterror:

Die Zahl der „Mobbingfälle“ ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Meist wenden sich Lehrkräfte, SchulleiterInnen oder Schulärzte an die schulpsychologischen Beratungsstellen, aber auch besorgte Eltern melden sich immer mehr mit der Klage, ihr Kind werde „gemobbt“.

Wie im Erstkontakt üblich, bedarf es jedoch genauer Nachfragen und Klärungen, um festzustellen, ob es sich bei der geschilderten Situation wirklich um Mobbing handelt oder ob es um anderweitige soziale Konflikte und Schwierigkeiten in Klassengemeinschaften geht.

In der Literatur herrscht allgemein Übereinstimmung, dass von Mobbing im Rahmen einer Schulklasse nur dann gesprochen werden soll, wenn es um die ständige Ausgrenzung und/oder Herabwürdigung einzelner Schüler durch andere geht – und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg.

Typische Mobbinghandlungen sind Hänseleien, Verspotten, hinter dem Rücken lachen, Ignorieren und Ähnliches. Das Geschehen bleibt den Lehrkräften oft verborgen und entfaltet genau dadurch seine unheilbringende Dynamik: SchülerInnen, die in die Opferrolle gerutscht sind, erleben sehr oft, dass einerseits ihre eigenen Strategien nicht ausreichen, um sich gegen die Über- und Untergriffe zu wehren, dass andererseits von Seiten der Mitschüler, aber auch der Lehrkräfte keine Unterstützung gegen die sich oft zu wirklichem Psychoterror auswachsenden Mobbinghandlungen zu erwarten ist.

Teilweise wird das Mobbing nicht wahrgenommen, teilweise erleben sich auch die „Zuschauer“ als hilflos oder haben Angst, einzugreifen. Die Lüftung der Anonymität der Täter und die Aufhebung des Schweigens stehen daher in der Literatur übereinstimmend an erster Stelle beim Kampf gegen das Mobbing.

 

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Freilich gibt es neben den ausgesprochenen und unausgesprochenen, aber bewussten Erwartungen auch solche, die unbewusst sind, aber das Geschehen trotzdem – oder gerade deshalb – in hohem Maße beeinflussen. Schon die Art, wie ein Erstkontakt gesucht wird, was erzählt und was verschwiegen wird, gibt Aufschluss über die Emotionen und Beziehungsdynamiken, die einen konkreten „Fall“ offenbar beherrschen und sich in der gesuchten Beziehung zum Berater/zur Beraterin sehr unmittelbar inszenieren.

 

In der „Szene“ des Erstkontakts liegen hinter den sprachlichen Mitteilungen auch nicht-sprachliche Inszenierungen – quasi ein emotionales Hintergrundrauschen – das sich auch in der affektiven Verfasstheit des hinzugezogenen Beraters/der Beraterin abbildet. Diese fühlt sich beispielsweise plötzlich übertrieben mutlos und erstarrt oder aber besonders euphorisch und zur Aktion getrieben.

 

Es ist der professionelle Blick auf diese Gegenübertragung, der ein Verstehen der Dynamik ermöglicht und wiederum Basis für eine reflektierte, auf die Situation des jeweiligen Falles feinfühlig abgestimmte Interventionsplanung darstellt.

 

Im Kontext des psychoanalytischen Verstehens bezeichnet „Szene“ das Zusammenspiel von Übertragung und Gegenübertragung in einer Beziehung, also die Inszenierung von Konflikten, die einer sprachlichen Bearbeitung noch nicht zugänglich sind.

 

Der Ansatz des „Szenischen Verstehens“ geht davon aus, dass der Blick auf die Gegenübertragung – also auf die Gefühlslagen, die durch die Beziehung zu einem Klienten ausgelöst werden – der Königsweg zur Erfassung der emotionalen Grunddynamik und der Interaktionsmuster darstellt.

 

Statt also eigene, übertrieben erscheinende innere Verfasstheiten erschrocken als unprofessionell von sich zu weisen oder sich unreflektiert zu schnellen Aktionen hinreißen zu lassen, bieten sie – richtig „gelesen“ – wertvolle Mitteilungen über den Grundkonflikt, den es im jeweiligen Beratungssetting zu bearbeiten gilt.

 

Entsprechend den Zielsetzungen und Settinganforderungen einer Beratungsbeziehung wird das Verstandene nun natürlich nicht gedeutet, wie man es in einer psychoanalytischen Therapie machen würde, sondern es muss ein anderer Umgang damit gefunden werden – eine „Antwort“, mit der der Klient etwas anfangen kann und die seine Handlungsfähigkeit stärkt.

 

In vielen Fällen ergibt sich schon aus der Klarheit, die eine verstandene, zuordenbare Gegenübertragungsreaktion immer bewirkt, der nächste Schritt im Beratungsauftrag wie von selbst – es kann dies eine Mitteilung an den Klienten sein oder ein Handlungsvorschlag.

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In jeder „Szene“ liegt auch ein Beziehungsangebot.

Das Gegenüber legt einen Teil seiner emotionalen Verfasstheit – und zwar jenen, der sprachlich noch nicht erfasst ist, aber nach Entlastung drängt – in den Berater/die Beraterin hinein wie in einen Behälter. Voraussetzung für einen produktiv verstehenden Umgang damit ist die Fähigkeit, diese emotionalen Gefühlsinhalte in sich wahrzunehmen und kurze Zeit haltend zu bewahren, also zu „containen“. Die innere Welt wird verstanden und aufbewahrt.

 

Der Melanie Klein nahestehende Kinderpsychoanalytiker Wilfried R. Bion entwickelte die Idee des „Containers“ bzw. „Containments“ schon 1957 – zunächst im Hinblick auf psychotische Patienten, dann aber auch für Kinder und psychisch gesunde Erwachsene.

 

Ähnlich wie dem Kind fällt es manchen Patienten (oder Klienten) grundsätzlich oder auch nur in bestimmten, belastenden Situationen schwer, heftige Affekte und Gefühle wahrzunehmen, als Teil des eigenen Selbst zu akzeptieren und schließlich bewältigen zu können. Sie benötigen deshalb ein Gegenüber, das dies alles stellvertretend für sie ausführt.

 

In der von Bion beschriebenen Funktion des Analytikers als eines Containers ist dieser in einer wachen und offenen Haltung – Bion (1967) spricht von der analytischen „reverie“ – für die unerträglichen Selbstaspekte seines Patienten zugänglich. Er nimmt die ihm übertragenen Gefühle zunächst auf und versucht, diese zu verstehen und in Worte zu fassen. Diese sowohl gedankliche als auch gefühlsmäßige Arbeit des Analytikers entzieht den Selbstanteilen des Patienten ihre Gefährlichkeit und Unverständlichkeit – sie werden gleichsam „entgiftet“ und „verdaut“. Der Patient erfährt, dass es möglich ist, mit dem abgewehrten Schrecklichen umzugehen, ohne in Panik zu verfallen oder von Wut, Scham oder Trauer überflutet zu werden.

 

Übertragen auf das Beratungssetting bedeutet dies, dass das Wahrnehmen und Aushalten von Gefühlspositionen der erste Schritt für ein Verständnis der Konfliktdynamik darstellt. Im Grunde zeigt sich hier die Sensibilität des Helfers, die – richtig gewendet – maßgeblich daran beteiligt sein wird, für die konkrete psychodynamische Beziehungssituation die richtige Maßnahme „einzufädeln“.

 

Ein Helferbild, das sich am Ideal des kühlen, logisch denkenden, sachlich planenden Helferideals orientiert, übersieht, dass die Fähigkeit, mitzuschwingen und verschiedene Gefühlspositionen erstmals zu „containen“, in sich zu orten und zu ordnen, bereits die erste Intervention darstellt.

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Fallverlauf: „Niemand spricht mit mir!“

Von meinem neuen „Fall“ erfahre ich, als ich nach einem Außendienst am frühen Nachmittag wieder in der Beratungsstelle eintreffe: Die Sekretärin, die das Gespräch aufgenommen hat, berichtet mir, dass es einen Mobbingfall gäbe, und ich so schnell wie möglich eine Frau Mag. D., die Klassenvorständin der Klasse, wo der Mobbingfall aufgetreten war, zurückrufen solle.

Die Sekretärin lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um eine sehr dringliche Situation, wenn nicht sogar eine Krise handle.

Die angegebene Telefonnummer ist eine private Handynummer, und als ich umgehend dort anrufe, treffe ich Frau Mag. D. beim Einkaufen an – wir vereinbaren einen Telefontermin etwa zwei Stunden später, wo ich dann Folgendes erfahre:

Eine Schülerin einer 1. Klasse BHS werde schon seit Längerem gemobbt, heute Vormittag habe es eine Eskalation gegeben: Die Schülerin Lisa habe, als sie an der Tafel etwas aufschreiben sollte, den Eindruck gehabt, es werde hinter ihrem Rücken über sie gelacht. Sie habe die Kreide weggeworfen und sei weinend aus der Klasse und auch aus dem Schulhaus gelaufen.

Sie als Klassenvorstand müsse nun auf die Situation reagieren und fühle sich dabei total überfordert, da sie noch nie mit so einer Situation zu tun gehabt habe. Eine Kollegin, mit der sie sich besprochen habe, habe gemeint: „Ruf bei der Schulpsychologie an, die müssen dir helfen.“ Und da sei sie nun. „Sagen Sie mir, was ich tun soll.“

Auf mein Nachfragen erfahre ich, dass ein Anruf bei den Eltern ergeben habe, dass Lisa nach Hause gefahren sei und sich nun in der Obhut des Vaters befinde. Allerdings sehe auch dieser Handlungsbedarf und meine ebenso wie sie selbst, dass Lisas Rückkehr in die Klasse vorbereitet werden müsse, um weitere Eskalationen zu vermeiden und um Lisa ein adäquates Arbeitsklima zu schaffen.

Ebenfalls konnte ich erfahren, dass Lisa eine fleißige, ehrgeizige und eher ruhige Schülerin sei, die von einigen anderen Schülerinnen und Schülern öfter gehänselt und ausgegrenzt werde. Ohne zu zögern, konnte Frau D. diese Schüler namentlich nennen. Es bestand kein Zweifel, wer in dieser Dynamik die Opfer- und wer die Täterrolle inne hatte.

Im Laufe des Telefonats wechselt mein zunächst auftretendes Gefühl von einem gewissen Stress („Sagen Sie mir, was ich tun soll.“) zu einer gewissen Erleichterung, als ich erfahre, dass es sich bei der beschriebenen Situation um eine klare Opfer-Täter-Trennung handelt, für die sowohl aufgrund meiner eigenen Erfahrung als auch aufgrund der Beschreibungen in der Fachliteratur viel leichter sinnvolle und erfolgversprechende Interventionen gefunden werden können, als dann, wenn es sich um sogenannte „provozierende Opfer-Täter-Strukturen“ handelt.

In Gedanken gehe ich schon meinen dicht gedrängten Terminkalender durch. Ich empfinde mich als Beraterin der ratsuchenden Lehrerin. Es ist Donnerstagnachmittag, da Freitag mein freier Tag ist, biete ich Frau Mag. D. einen Gesprächstermin an der Beratungsstelle für den kommenden Montag um die Mittagszeit an. Frau Mag. D. meinte, dass sie da zwar unterrichten müsse, doch sie werde mit dem Direktor über die Möglichkeit einer Supplierung für sie reden.

Für mich ist das Gespräch positiv verlaufen. Ich mache mir entsprechende Notizen, suche meine Unterlagen zum Thema Mobbing heraus, fertige einige Kopien an, die ich Frau Mag. D. mitgeben will, und gehe beruhigt ins Wochenende.

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Montag: Unerwartete Dynamiken, Rollenumkehr und Gegenübertragung

Am Montag erfahre ich Folgendes:

Am Freitag hatte der Vater der gemobbten Schülerin Lisa angerufen und mit Nachdruck verlangt, einen Kollegen von mir zu sprechen, der allerdings – wie unsere Sekretärin ihn wiederholt wissen ließ – nicht für die entsprechende Schule zuständig ist.

Mit meiner Mitarbeiterin, die den gleichen Zuständigkeitsbereich wie ich bearbeitet und daher erste Ansprechperson gewesen wäre, wollte er den ganzen Vormittag nicht verbunden werden. Die immer verzweifelter werdende Sekretärin wies ihn auch darauf hin, dass ich, die Leiterin der Beratungsstelle, am Montag früh für ihn zu sprechen wäre – auch das lehnte er ab. Nur jener Kollege komme für die Betreuung dieses schwierigen Falls in Frage.

Auch Mag. D. hatte sich wieder gemeldet. Sie sagte den Montagtermin mit mir ab, wollte ebenfalls Kollegen E. sprechen und ließ durchblicken, dass ich, die zuständige Psychologin, mit der Situation offenbar überfordert wäre.

Jener Kollege lehnte es ab, diesen Fall zu übernehmen, brachte jedoch die Landesreferentin als die Leiterin der gesamten Abteilung ins Spiel, an die man sich auch wenden könne. Diese führte zwei ausführliche Telefonate mit dem Vater von Lisa. Da jedoch schnell klar war, dass es sich um eine komplexe Situation handelte, die durch einige telefonisch erteilte Ratschläge nicht zu lösen wäre, verwies auch sie auf unsere Struktur – und also wiederum auf mich.

Auch der ganze Montag und der ganze Dienstag, während ich im Büro anwesend bin, vergehen mit weiteren dieser mehr oder weniger emotional geführten Telefonate, die alle nur ein Ziel haben: eine andere Person als mich zu aktivieren. Zwei Sekretärinnen, die Landesleiterin und drei Psychologen sind neben ihren laufenden Arbeiten damit beschäftigt, sich mit den Anrufern auseinanderzusetzen (noch eine dritte Person hatte sich eingeschaltet, um mittels Protektion die amtlichen Zuständigkeiten zu umgehen) und sich wechselseitig vom aktuellen Stand der Ereignisse zu informieren, während ich mit gemischten Gefühlen das Treiben verfolge und ständig überlege, ob und wie ich mich wieder ins Spiel bringen soll.

Meine Kollegin meint, ich solle der Klassenvorständin einen Termin an der Schule vorschlagen, diese niederschwelligere Form der Kontaktaufnahme sei vielleicht angezeigt. Da mir dies plausibel erscheint, schreibe ich Frau Mag. D. eine Mail mit einem Terminvorschlag für den nächsten Tag an der Schule – auf die ich bis Freitag keine Antwort erhalten sollte.

Meine Chefin steht zwar grundsätzlich hinter mir und schiebt allen Versuchen, unsere Strukturen zu umgehen, sehr höflich, aber bestimmt einen Riegel vor. Mir gegenüber meint sie aber, ich solle mir überlegen, den Fall doch lieber an eine meiner Mitarbeiterinnen abzugeben. Wenn so große Animositäten im Spiel seien, werde die in einer so komplexen Situation notwendige Kooperation aller beteiligten Ebenen wohl nicht möglich sein.

Ich befinde mich in einer wahrhaft kafkaesken Situation: Da sitze ich mit meinen kopierten Unterlagen, mit meinen Vorüberlegungen zur Vorgangsweise, mit meinem Engagement, meiner Erfahrung und meiner Fachkompetenz und fühle mich durchaus in der Lage, den „Fall“ zu bearbeiten – nur: keiner will mit mir reden!

Im Geheimen wünsche ich mir gelegentlich, jemand anderer möge mit diesem „Fall“ betraut werden, und ich wäre „aus dem Schneider“. Gleichzeitig finde ich es unerhört, so ausgebootet zu werden und nicht einmal die Chance zu erhalten, mein Können und meine Kompetenz zeigen und anwenden zu können. Dann wieder empfinde ich Zweifel: Was hatte ich übersehen? War ich nicht vielleicht wirklich inkompetent und unfähig, diesen Mobbingfall zu bearbeiten?

All diese Gefühle bedrängen mich sehr. Sie bleiben nach Dienstschluss auch nicht im Büro, sondern ich nehme sie mit nach Hause.

Dort kommt dann die Wende. Vermutlich konnte durch die örtliche Distanz vom Geschehen auch eine innerliche Distanzierung möglich werden – jedenfalls fällt es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen:

Es ist nicht meine Kompetenz oder Inkompetenz, die hier zur Disposition steht. Vielmehr bin ich Teil einer Inszenierung geworden, die bereits Ausdruck und Hinweis auf das ist, was es eigentlich zu bearbeiten gilt: die Kommunikationsformen, die Ängste und die Abwehrbewegungen in einem Fall von Mobbing.

Ganz klar erkenne ich nun meine Gefühlslage als eine Gegenübertragungsreaktion, die zu verstehen der Schlüssel zu der unbewussten Botschaft der Problematik sein würde. Zunächst einmal erlebe ich mich in meiner seltsamen Position des Nicht-Angesprochenwerdens und des Ausgegrenztseins auf einmal in großer emotionaler Nähe zu der Schülerin Lisa, deren Nöte durch das allgemeine Agieren rund um die Frage, wer wohl am schnellsten und effektivsten etwas TUN könne, völlig aus dem Blickfeld geraten war.

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Szenenanalyse, Retterphantasie und emotionale Dynamik

Auf den Spuren meiner Gegenübertragung entrollt sich mir nach und nach ein ganzes Panorama von Beziehungsmustern und Konfliktthemen, in dem ich alle Protagonisten – mich eingeschlossen – wie auf einer Bühne in Szene gesetzt sehe:

  • Die Szene wird beherrscht von Allmachtsphantasien:
    Das, was sich über Monate hinweg aufgebaut hat an Dynamik und Problematik, soll schnell von einer Person gelöst werden. Gefragt ist ein Retter – einer, der mit einer kühnen Handbewegung und ohne zu zögern die Zügel in dieser zerfahrenen Geschichte an sich reißt, der die Brüche und Aggressionen, die in dieser Klasse zweifellos bestehen, kitten kann und dabei in einem großartigen Wurf sämtliche Unsicherheiten und Zweifel über die richtige Vorgangsweise beseitigt.

    Diese Erwartung löst massive Überforderungsgefühle aus, denn – auch das ist klar – ein genaues Nachfragen und Hinschauen auf die Gefühls- und Konfliktdynamik ist nicht erwünscht. Deshalb werden zwar magische Helfer gesucht, reale Beziehungsangebote aber nicht angenommen – oder, auf gut österreichisch: „net amoi ignoriert“.
    Telefonate werden abgelehnt, Mails werden nicht beantwortet, Termine werden verweigert…
    Die unerhörte Botschaft lautete also:
    Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Beende das Gefühlschaos – aber sprich mit mir nicht über Gefühle.

  • Obwohl zwischen ständig wechselnden Gesprächspartnern telefoniert und aufgeregt miteinander gesprochen wird, entsteht kein Kontakt.
    Es ist kein Nachfragen und Hinhören möglich. Es gibt kein Aushandeln von Wahrnehmungen, Strategien, Meinungen. Etwas steht einfach fest und besitzt eine so hohe Selbstverständlichkeit, dass jeder, der beginnt, diese Festlegungen zu hinterfragen, sofort ins Abseits der Inkompetenz befördert wird.

    Es gibt nur ein Entweder-oder. Es darf keinen Konflikt geben. Ein Gegenüberstehen von Personen, eine abgegrenzte Beziehungsaufnahme (Ich–Du), ist in diesem Modell nicht möglich.
    Was den überhöhten Allmachtsphantasien nicht entspricht, ist so gut wie nichts – und auf jeden Fall nichts wert.

Die Spurensuche hat mitten ins emotionale Zentrum der Mobbing-Situation geführt:
Es geht um Selbstwert, Ausgrenzung, Grenzüberschreitung, Idealisierung und Entwertung, Spaltungen und Entpersönlichung. Könnte es sein, dass sich in meinem Inneren die emotionale Situation von Lisa abgebildet hat? Könnte es sein, dass diese psychische Notlage auch von den Erwachsenen, die helfen wollen, als so bedrängend erlebt wird, dass sie zu den beschriebenen turbulenten Aktionen gegriffen haben?

Für die Situation von Lisa tut sich nun jedenfalls folgendes Verständnis auf:

In der Klasse wird sie ignoriert. Wenn sie sich äußert, ist das mit Sicherheit verkehrt. Sie merkt, dass – egal was sie tut – alles falsch ist. Sie fühlt sich missverstanden, hat aber keine Chance, sich als Person sichtbar zu machen. Ihre Versuche gehen seltsam ins Leere.
Das macht sie manchmal wütend, meistens aber nur ratlos und stumm.

Keiner spricht mit ihr.
Sie fühlt sich entwertet, überfordert – wohl manchmal wie ausgelöscht. Sie möchte am liebsten verschwinden – was sie an dem kritischen Tag, als sie weinend aus der Schule lief, auch getan hat.

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Positionierung, Auftrag und Wiederaufnahme der Arbeit

Für mich und mein Rollenverständnis kann ich folgende Klarheit gewinnen:

Die Allmachtsphantasien und Entwertungen kann ich als Teil einer umfassenden Abwehrbewegung verstehen. Statt mich davon lähmen oder einschüchtern zu lassen, möchte ich konsequent mich und meine Möglichkeiten wieder ins Spiel bringen und der Retterphantasie realistische Alternativen konsequent entgegensetzen.

Ich nehme mir vor, auf die Gefühlsdynamiken besonders zu achten und – ungeachtet des Tabus – diese entweder zu verbalisieren und behutsam ins Zentrum zu rücken, oder aber zumindest als den eigentlichen Motor des Geschehens zu verstehen und zu containen.

Und weiters nehme ich mir vor, auf meine eigenen Grenzen besonders gut zu achten – was bedeutet, mich einerseits nicht ausbooten zu lassen, und mich andererseits auch weder zeitlich noch durch das Annehmen von nicht stimmigen Arbeitsaufträgen zu überfordern.

Doch wie ging es nun weiter in meinem „Fall“?

Paradoxerweise waren genau durch das Forcieren von „effektiven, raschen Lösungen“ zwei wertvolle Tage vergangen – was dann, ich hatte es geahnt, das letztlich doch zwischen Lisa, ihrem Vater und mir stattfindende Beratungsgespräch mit zusätzlichem Zeit- und Erfolgsdruck aufladen sollte.

Durch die Analyse meiner Gegenübertragung war mir klar geworden, dass ich von meiner Position als zuständige Schulpsychologin nicht abweichen würde. Allerdings würde ich die Sache nur in die Hand bekommen, wenn die Struktur der Institution halten würde – also wenn das Begehren der Ratsuchenden nach Grenzüberschreitungen und Allmachts–Ohnmachts–Inszenierungen auf ein klares „Stopp“ der Institution und der sie vertretenden Personen treffen würde.

Würde die Struktur halten?

Die Struktur hielt.

Über die Landesleiterin ließ sich der Vater von Lisa einen Termin geben (ich hatte zwei zur Auswahl gestellt), dem ich auf der Basis des bisher erlangten analytischen Verständnisses gelassen entgegensehen konnte.
Meine ursprüngliche Auftraggeberin von schulischer Seite hatte allerdings nicht weiter von sich hören lassen.

Vater und Tochter kommen mit einer fixfertig formulierten „Plus–Minus–Liste“, wo Lisa gemeinsam mit ihrem Vater die Vor- und Nachteile eines Verbleibs an der Schule bzw. eines Schulwechsels aufgelistet haben. Unter dem Strich ist „Bleiben“ herausgekommen. Unwillkürlich muss ich an den Buchtitel „Flüchten oder Standhalten?“ denken, der mir in meinem inneren Ringen um meine eigene Position öfter in den Sinn gekommen war.

Sehr wortreich klärt mich der Vater von Lisa auf über das, was die Schule seiner Meinung nach bisher verabsäumt hat, welche Maßnahmen schnellstens in die Wege geleitet werden müssen und auch, was er als meinen Part dabei ansieht. Ich spüre grandiose Erwartungen an mich – als auch subtile Entwertungen. Mit beidem habe ich gerechnet.

Da ich mir für dieses Gespräch vorgenommen habe, dem Beziehungsangebot der „Retterin“, „Magierin“ oder aber der entwerteten „Versagerin“ ein weniger grandioses, aber dafür realistisches Hilfsangebot entgegenzusetzen, beginne ich, mich intensiv mit den – irrealen – Vorstellungen des Vaters auseinanderzusetzen, und bemühe mich, mein Angebot und meine Zielsetzungen als Schulpsychologin in dieser Sache sehr klar zu definieren und diese von mir getroffene Grenzziehung zu begründen und zu verteidigen.

Irgendwann aber merke ich, dass Lisa völlig verstummt ist und blass und still unserem Wortwechsel lauscht. Wieder ist es passiert, dass sie und ihre seelische Not hinter Maßnahmenplanungen und Einsatzüberlegungen verschwunden sind!
Es wird mir sehr deutlich, dass die große Aktivität und das forcierte Engagement von uns allen wohl auch die Funktion hat, ihre emotionale Not nicht sehen und spüren zu müssen.

Um nicht Mitspielerin in der Verleugnung der teils unangenehmen, teils offenbar unerträglichen Gefühlsinhalte zu werden, galt es, das „Standhalten“ auch auf die emotionale Ebene auszudehnen: Es geht nun um das Ansehen und „containen“ dessen, was durch die maßlose Aktivität verdeckt werden sollte: Gefühle von Einsamkeit, Angst vor Liebesverlust, Sich-Ausgeschlossenfühlen, keine Handlungskompetenz empfinden.

Es gelingt, diese Gefühlsinhalte in unser gemeinsames Gespräch hereinzunehmen. Nun ist es der Vater, der still und hilflos wirkt und offen ist für Anregungen, wie er seiner Tochter – außer über das Erstellen von Aktionsplänen – auch noch helfen kann, nämlich durch emotionales Mitschwingen und ich-stützende Überlegungen, welche Reaktionsweisen und Ressourcen Lisa selber zur Verfügung stehen.

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Systemische Einbindung und Zusammenarbeit mit der Schule

An dieser Stelle war es für mich notwendig, meinen Arbeitsauftrag zu definieren und zuerst mir und dann auch meinen Klienten klar zu machen, welche Ebene ich weiterverfolgen sollte:

War ich die Psychologin von Lisa?
Ging es darum, in gemeinsamer Arbeit mit ihr sich einerseits diesen Gefühlen zu stellen, andererseits darum, im Sinne von Ich-Stützung und Ressourcenaktivierung ihr zu helfen, den Opferstatus zu verlassen und zu Handlungskompetenz zu kommen?

Oder war ich die Schulpsychologin, die vom „System“ angefragt war und deren Aufgabe darin bestand, die verschiedenen Funktionsträger (Klassenvorstand, Lehrkräfte, Direktor, Eltern, Schülerinnen) zu einer einheitlichen Richtung zu aktivieren, deren Motto sein könnte:
„Täter stoppen, Opfer schützen, Mitläufer aktivieren“?

Entsprechend dem Arbeitsauftrag der Schulpsychologie positionierte ich mich als Systemarbeiterin.
Bloß: Mir war meine Auftraggeberin abhandengekommen.
Weder von Seiten der Direktion noch von Seiten des Klassenvorstands hatte ich ein Mandat, auf das hinauf ich aktiv werden könnte.

Herr S. hatte die Vorstellung, dass ich am kommenden Tag mit Lisa an die Schule gehen, sie in die Klasse begleiten und mit der Klasse die Situation „aufarbeiten“ sollte, damit die Mobbing-Aktivitäten ein für alle Mal vom Tisch wären.
Er sagte: „Ich sei doch Schulpsychologin und müsste dazu doch in der Lage sein…“

Hier war sie wieder – die Rettungsphantasie.

Ich stellte klar, dass die Arbeit mit der Klasse nur im Rahmen eines funktionierenden Schutz- und Hilfssystems Sinn machen würde – bei dessen Etablierung ich jedoch gerne beratend mithelfen würde.

Es war dann Herr S., der die Frau Klassenvorstand offenbar bewogen hatte, doch endlich den so oft angebotenen Gesprächstermin anzunehmen.

Ich schlug diesen am kommenden Montag an der Schule gemeinsam mit dem Direktor der Schule vor. In meiner bisherigen Zusammenarbeit hatte ich ihn als konstruktiven, engagierten Leiter kennengelernt.
Ich erhoffte mir eine „Triangulierung“ der Situation mit Frau Mag. D.
Außerdem war es für ein Gelingen der „Aktion“ unabdingbar, dass er die geplanten Interventionen mittragen und aus seiner Funktion heraus unterstützen würde.

Lisa konnte ich einen baldigen Gesprächstermin mit einer Psychologin vermitteln.
Trotz des – verständlichen – Drucks des Vaters, den Schulbesuch so bald wie möglich wieder zu machen, vereinbarten wir, dass Lisa noch zwei Tage zu Hause bleiben sollte, bis an der Schule alles vorbereitet und geklärt wäre.

Bis dahin sollte sie selbst aktiv werden und sich um Mitschriften von den Schülerinnen kümmern, die ihr wohlgesonnen waren. Denn auch solche schien es zu geben.

Das Gespräch an der Schule fand dann am Montag statt – eine Woche später, als es möglich gewesen wäre.

Frau Mag. D. war eine muntere Frau mit einem offenen Lachen, die mit Interesse und Engagement in das Gespräch ging und eine hohe Bereitschaft zeigte, das umzusetzen, was in ihrer Funktion als Klassenvorstand angelegt war.

Schon nach wenigen Minuten war klar, dass wir sehr gut zusammenarbeiten würden – und irgendwie stürzten wir uns mit Feuereifer darauf.
Es war so, als hätten wir auf einen Startschuss gewartet, der endlich gekommen war.

Zu dritt – Klassenvorstand, Direktor und ich – analysierten wir noch einmal die Situation und erarbeiteten ein Maßnahmenpaket, das aus dem Lehrbuch stammen könnte:

  • Der Direktor bot von sich aus an, noch am selben Vormittag in die besagte Klasse zu gehen und unmissverständlich klarzulegen, dass Belästigungen, Beschämungen und Ausgrenzungen von Mitschülern dem Wertekatalog der Schule widersprechen und er nicht tatenlos zusehen werde, wenn dies in einer Klasse Alltagspraxis wäre.

  • Für Dienstag wurde durch Frau Mag. D. eine pädagogische Konferenz aller in dieser Klasse unterrichtenden LehrerInnen einberufen, an der auch ich anwesend sein würde.

  • Ebenfalls am Dienstag würde Frau Mag. D. mit den Schülern und Schülerinnen zum Thema Klassengemeinschaft arbeiten, bzw. weiterarbeiten – denn sie hatte schon am vergangenen Freitag eine ihrer Fachstunden dafür verwendet, eine kleine Befragung zu machen zu den Themen:
    Was läuft gut in unserer Klasse? Was wünsche ich mir? Was kann ich beitragen?

  • Für den Mittwoch ist geplant, dass Lisa erstmalig nach ihrem Davonlaufen wieder zur Schule kommt. Frau Mag. D. wird mit ihr in die Klasse gehen, nur ein paar Worte sagen, sich auf das gemeinsam Erarbeitete beziehen und dann wieder gehen.
    Wenn Lisa sich bedrängt fühlt, kann sie jederzeit ins Sekretariat kommen und Frau Mag. D. ausrufen lassen.
    In jedem Fall aber werde es am Ende der Woche ein Gespräch mit Lisa geben, wo sie über ihre Erfahrungen und Erlebnisse reden kann.
    Lisa soll auch ein „Mobbingtagebuch“ führen, wo sie unliebsame Ereignisse eintragen kann – als auch solche, wo ihr geholfen wurde. Dabei soll sie möglichst konkret Vorkommnis und beteiligte Personen angeben.

  • Am Freitag werde ich mit der Klasse eine „Anti-Mobbing-Stunde“ gestalten mit dem Ziel, bisherige MitläuferInnen zu aktivieren und ihnen Strategien in die Hand zu geben, um sich „einmischen“ zu können.

  • In der darauffolgenden Woche wird es ein Follow-Up-Gespräch zwischen mir und der KV an der Beratungsstelle geben, wo bisherige Ergebnisse und Ereignisse reflektiert werden sollen und evtl. weitere nötige Schritte – z. B. Einzelgespräche mit „Tätern“ durch den KV – vorbesprochen werden sollen.

  • Weiters wird vereinbart, dass Direktor und KV im losen Gesprächskontakt bleiben und dass der Direktor bei dokumentiertem Andauern der Mobbinghandlungen konfrontierende Gespräche mit einzelnen Schülernführen könnte, die sich derzeit in der Mobber-Rolle befinden.

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Umsetzung, Klassenarbeit und erste Ergebnisse

Der Termin in der Klasse wurde bewusst ans Ende der Woche gelegt, weil es erfahrungsgemäß sowohl für Lisa als auch für mich wichtig ist, dass ich nicht als „Eindringling von außen“ komme, der sofort mit der Klasse „arbeitet“, ohne dass es vorher vorbereitende Gespräche und Maßnahmen gegeben hat.

Ich treffe in der Klasse auf eine offene und zugängliche Stimmung. Die Schüler und Schülerinnen kennen mich, weil ich zu Schuljahresbeginn dort bereits ein soziales Kompetenztraining durchgeführt hatte, was sicherlich hilfreich war.

Ich beginne mit einem allgemeinen Einstieg zum Thema „Wohlfühlen in der Klasse“ und versuche dann, mit verschiedenen Methoden die in dieser Klasse bestehenden Kommunikationsmuster herauszuarbeiten und aufzuzeigen.

Wir sprechen über Gruppenprozesse, über Mitläufer und Außenseiter, über die verschiedenen Möglichkeiten, mit Ungerechtigkeit umzugehen.

Ich achte besonders darauf, keine Fronten aufzubauen und keine Positionierungen zu verstärken. Vielmehr versuche ich, ein Klima zu erzeugen, in dem es möglich wird, auch über unangenehme Dinge zu reden, ohne sich gleich als Opfer oder Täter zu fühlen.

Wir machen eine Übung zum Thema Zivilcourage, bei der verschiedene Rollenspiele erarbeitet und präsentiert werden, in denen es darum geht, wie man einem Mitschüler helfen kann, ohne selbst zum Ziel von Anfeindungen zu werden.

Die Stunde verläuft sehr ruhig und diszipliniert – das ist für mich überraschend, aber auch ein Zeichen dafür, dass die Klasse ein Bedürfnis nach Orientierung und Struktur hat.

Im Gespräch mit der Klassenvorständin am folgenden Montag berichtet sie mir, dass es seither keine Auffälligkeitenmehr gegeben habe.

Lisa habe sich – zumindest nach außen – gut in die Klasse integriert und sich auch zum ersten Mal in einer Stunde zu Wort gemeldet.
Ihre Mitschriften seien vollständig – sie sei nach wie vor ruhig, aber wirke weniger ängstlich und deutlich entspannter.

Auch der Vater habe sich telefonisch gemeldet und sich für die gesetzten Maßnahmen bedankt. Er sei erleichtert, dass seine Tochter wieder gerne zur Schule gehe.

Der Direktor ist ebenfalls zufrieden. In einem kurzen Gespräch bestätigt er, dass auch bei ihm keine weiteren Beschwerden oder Auffälligkeiten eingegangen seien.

Für mich ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass ich den „Fall“ langsam auslaufen lasse, um keine unnötige Abhängigkeit entstehen zu lassen.

Ich vereinbare mit der KV einen letzten Reflexionstermin – ein Monat später – um zu sehen, ob die positive Entwicklung stabil bleibt oder ob weitere Maßnahmen nötig sein sollten.

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Nachbesprechung, Reflexion und Ausblick

Im abschließenden Reflexionsgespräch mit der Klassenvorständin, das etwa ein Monat nach dem letzten Gespräch stattfindet, ist sehr viel Ruhe und Klarheit spürbar.

Mag. D. schildert noch einmal den dramatischen Anfang, ihre Überforderung und auch ihre Angst, ob sie das schaffen würde – und spricht davon, wie hilfreich es für sie war, dass sie durch meine Haltung, mein Verständnis, aber auch durch meine klare Positionierung gut durch die schwierigen Wochen hindurchgekommen sei.

Auch meine Rückmeldung fällt sehr positiv aus: Ich bewundere ihren Mut, sich trotz der emotionalen Belastung dieser Herausforderung zu stellen – und auch ihre Fähigkeit, ihren Auftrag als Klassenvorständin anzunehmen und die Verantwortung nicht abzuschieben.
Ihr offenes, reflektiertes Verhalten hat wesentlich zur Lösung beigetragen.

In der Gesamtreflexion dieses Falles ergeben sich für mich folgende Punkte:

  • Mobbing ist ein Gruppengeschehen. Es reicht nicht, mit einzelnen Tätern oder Opfern zu arbeiten. Die Klasse als Ganzes muss einbezogen werden.
    Dabei muss man sich hüten, Täter–Opfer–Dichotomien zu verstärken. Vielmehr geht es um die Herstellung einer gemeinsamen Verantwortung aller für das Klima in der Klasse.

  • Die Rolle des Klassenvorstands ist zentral. Nur wenn diese Funktion ernst genommen wird, kann eine nachhaltige Veränderung in Gang gesetzt werden.

  • Die Schulpsychologie hat die Aufgabe, systemisch zu arbeiten, nicht in Konkurrenz zu Lehrkräften oder Eltern, sondern als begleitende, unterstützende Instanz.

  • Gefühle sind zentrale Träger von Information. Wenn sie – wie in diesem Fall – zunächst abgewehrt oder auf andere projiziert werden, muss es jemanden geben, der sie aufnimmt, „containet“ und in Sprache überführt.
    Erst dann kann Veränderung stattfinden.

  • Allmachtsfantasien und Schuldzuweisungen gehören zum typischen Repertoire in Krisensituationen. Sie dürfen nicht wörtlich genommen werden, sondern müssen als Ausdruck von Überforderung und emotionaler Not verstanden werden.

  • Schulpsychologische Interventionen brauchen Zeit. Schnellschüsse bringen nichts. Die Kunst besteht darin, den Druck auszuhalten, bis ein gutes Setting vorbereitet ist.

Und schließlich:

Der Fall hat mir wieder gezeigt, wie wertvoll und notwendig die schulpsychologische Arbeit ist – wenn sie professionell, empathisch und mit klarem Rollenverständnis durchgeführt wird.
Sie hat mir auch gezeigt, wie wichtig Selbstreflexion ist – und wie hilfreich es ist, sich auf seine eigenen Gefühle zu verlassen und diese als Wegweiser ernst zu nehmen.

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